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REINHOLD MESSNER ALS KREATIVER GESTALTER SEINER AUTOBIOGRAFISCHEN BÜCHER




25. September 2023, von Monika Hasler

Wie soll ich nur Ordnung in all meine Geschichten bringen, die ich Freunden und Familie hinterlassen möchte? Diese Frage ist eine zentrale, wenn man als Autor seiner Biografie nicht bei den einzelnen losen Geschichten bleiben möchte, sondern vorhat, seine Lebensgeschichten in einem Buch zusammenzufassen. Wie wird mein Buch ein rundes Ganzes, wie gerät es sozusagen aus einem Guss?

Als Antwort auf diese Frage nach einer inhaltlichen Struktur möchte ich dem Leser und der Leserin Reinhold Messer als sehr kreatives Beispiel eines Autors ans Herz legen, der mehrere autobiografische Bücher geschrieben und veröffentlicht hat, von denen jedes eine andere Struktur aufweist. Seine Bücher machen deutlich, wie gross die Möglichkeiten einer Ordnung sind, und wie weitgefächert der Horizont ist bezüglich äusserer Form eines Inhalts der Kategorie Autobiografie.


1. Die thematische Struktur: Sein Leben riskieren, um zu überleben

Der Extrembergsteiger, Grenzgänger, Politiker, Museumsgründer und Bergbauer Reinhold Messner aus dem Südtirol ist auch ein begnadeter Erzähler und Vortragsredner, und ein ebenso produktiver wie erfolgreicher Autor und Vermarkter seiner eigenen Abenteuerberichte. Das macht ihn zu einer unvergleichlichen und herausragenden Persönlichkeit, die in einer Lebensspanne von bisher 78 Jahren so viel mehr unternommen, gewagt, geleistet, erreicht und aufs Spiel gesetzt als die meisten Menschen. Vor allem hat er all seine halsbrecherischen Unternehmungen überlebt! Diese Tatsache bezeichnet er als seine grösste Leistung und sie bestimmt für eines seiner Bücher den Fokus, unter dem er sein ganzes Leben erzählt.


ÜBERLEBEN ist der Titel dieses autobiografischen Buches aus dem Jahre 2016. In insgesamt 70 Geschichten erzählt er, wie kam es, dass er zu dem Menschen wurde, der immer wieder die Extreme sucht, in denen er sich wieder und wieder beweist, dass er überleben will. Die grobe Struktur dieses Buches ergibt sich aus einem originellen Spiel mit der Schreibweise des Wortes Überleben, so könnte man meinen. Aber es sind durchaus passende Überschriften, die er setzt als Dach für drei grosse Bögen übe seine gesamte Lebensgeschichte.

Bei der ersten Schreibweise des Wortes Überleben, nämlich ÜB ERLEBEN geht es um das Einüben des Lebens durch die Erfahrungen der Kindheit. In 25 Geschichten erzählt Messner von all dem, was Familie, Talgemeinschaft und Berglandschaft ihm als Basis für sein lebenslanges Gehen, Steigen, Klettern in und mit der Natur auf den Weg geben konnten. Beim zweiten Abschnitt des Buches unter der Überschrift ÜBERLEBEN geht es tatsächlich um Leben und Tod, und im dritten und letzten Teil kommt unter der Überschrift ÜBER LEBEN in 24 Kurzkapiteln der Philosoph zu Wort, der über Gott und die Welt und das Leben im weiteren Sinn reflektiert.


Es ist verständlich, dass einer, der so intensiv lebt wie Messner, erstens viel zu erzählen hat - die Grundvoraussetzung überhaupt, um Bücher zu schreiben - aber für mich ist auch verständlich, dass er das Bedürfnis hat, das Erlebte immer wieder zu erzählen, mal auf diese Weise, dann wieder auf eine andere, und dass er dabei eine Virtuosität des Erzählens entwickelt, bei der man nicht müde wird, erneut zu lesen und zuzuhören. Auch der Autor selber scheint nicht müde werden, auf Fragen seiner Leser und Zuhörer und auch von kritischen Medienschaffenden zu antworten. So liegt es ihm nahe, ein weiteres Buch in Form eines Gesprächs herauszugeben.


2. Eine Autobiografie in Gesprächen

Messners Reichtum an Ideen und Produktivität spiegelt sich in den autobiografischen Büchern, die hier vorgestellt werden. Für jedes dieser Bücher hat er einen neuen Blickpunkt gefunden hat, um uns sein Leben noch einmal zu erzählen, um uns noch einmal zu schildern, was er erlebt hat, wer er ist, wie er sich selber sieht und was ihn als Individuum ausmacht. Mein Leben am Limit, eine Autobiografie in Gesprächen heisst sein Buch, das ein einziges grosses Interview ist. Der Spiegel-Reporter Thomas Hüetlin stellt ihm die entscheidenden, und auch kritischen Fragen, welche Messner herausfordern, nicht nur noch einmal neu zu erzählen, was seine Leser bereits wissen, sondern auch über Gründe und Hintergründe zu berichten, seine Sicht und seine Standpunkte zu artikulieren, die sich im Laufe seines Bergsteigerlebens gewandelt haben.



3. Der Seelenspiegel als Metapher für den Blick von aussen nach innen

Das Nachdenken über sein Tun und die Frage Wer bin ich? ist beim dritten der ausgewählten biografischen Bücher Messners aus dem Jahre 2012 im Zentrum. Es trägt den Titel 13 Spiegel meiner Seele. Die 13 Buchkapitel und die darin gedanklich durchleuchteten Tätigkeiten, die den Autor charakterisieren, heissen:

Vom Klettern, vom Sammeln, vom Gestalten, vom Schreiben, vom Umherziehen, vom Dasein des Bergbauern, vom Jagen in der Erinnerung, vom Erzählen, vom *Streiten, vom Familienleben, vom Gehen, vom Durchqueren, und vom Steigen.


Als Sammler von Kunstgegenständen anderer Bergkulturen und von Ausrüstungen für seine Expeditionen wurde Messner zum Gründer von sechs Museen im Südtirol. Als solcher sieht sich Messner als Mitgestalter seiner Heimat. Das hat mich überrascht. Und auch hier besticht wieder der Reichtum und die Vielfalt. Ein Museum war ihm nicht genug, nein, Messner erschafft sechs verschiedene an sechs verschiedenen Orten mit sechs verschiedenen Schwerpunktthemen, also viel, viel mehr als jeder Mensch erwarten würde.


Als kreativer Gestalter tritt er aber auch in der Form dieses Buches hervor. Es ist keine chronologische Erzählung der Ereignisse, wie sie sich ergeben haben, und auch gibt es hier keine Auflistung aller bezwungenen Wände und Gipfel. Zwar berichten immer noch fünf der 13 Kapitel über das Gehen, Klettern, Steigen, Umherziehen und Durchstehen von inneren und äusseren Wüsten, aber dem Leser zeigen sich neue Facetten des Abenteurers. Er ist auch Vater zweier Kinder, Partner seiner Lebensgefährtin, er ist Vortragsredner, Filmemacher, Autor und Forscher seiner Seele.


4. Das Leben als Weg der Erkenntnis

Das Buch Mein Weg, Bilanz eines Grenzgängers von 2017 scheint traditionell aufgebaut. Der Autor schildert seine Erfahrungen im Rückblick und zieht reflektierend Bilanz. Dabei stellt er immer wieder die Frage nach dem Sinn seines Tuns. Das ist bei dieser Tätigkeit keine müssige Frage, insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, dass Bergsteigen völlig zweckfrei ist, auch Erstbesteigungen, das heisst, es dient niemandem und keinem anderen Zweck als dem subjektiven Erleben des Bergsteigers. Die Berge mussten ja nicht erst durch ihn entdeckt werden. Messner zeigte auf, was einem Menschen möglich ist, aber wem dient denn das, was er bewiesen hat? War er sogar einer derer, die dem schädlichen Massentourismus im Himalaya den Weg geebnet haben?


5. Die Biografie als eine Inventur des Erreichten

Und hier nun endlich: Eine komplette Liste aller bezwungenen Gipfel und Erstbesteigungen, die Messner in seinen jungen Jahren zu dem berühmtesten Extrembergsteiger aller Zeiten machten, und als der er unvergesslich bleiben wird. Das musste natürlich einmal in Buchform publiziert sein, denn Messner finanziert sich weitgehend durch sein Schreiben. Also hier die Autobiografie, die sich auf den Lebensabschnitt zwischen 1970 und 1986 beschränkt und auf die Leistungen, die den aussergewöhnlichen Ruf des Autors begründet haben. Das Buch heisst Überlebt, Meine 14 Achttausender. Es sind Berichte seiner 14 Expeditionen, eine Lektüre für Bergsteiger.


*Messner erzählt von seinem Streiten für den Erhalt der intakten Bergwelt. Das forderte den Entertainer Kurt Felix dazu heraus, sich mit Messner einen Spass zu erlauben. Hier das Video dazu:


 

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