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WIE EIN MEISTER ZUM DELINQUENTEN WURDE - HELENE UND WOLFGANG BELTRACCHIS GESCHICHTE


Helene und Wolfgang Beltracchi

4. August 2023, von Monika Hasler


Experten an der Nase herumzuführen, mit der Gier von Sammlern zu spielen und sich dabei heimlich ins Fäustchen zu lachen, das ist ihm lange gelungen. Die Rede ist von Wolfgang Beltracchi, dem Kunstmaler aus Nordrhein-Westfalen, der inzwischen als Meisterfälscher des Jahrhunderts bezeichnet wird. Also ist schliesslich doch alles rauskommen? Genau. Ein Moment der Unachtsamkeit, die Verwendung einer falschen Farbmischung war der Grund für die Entlarvung des gesetzwidrigen Tuns des Künstlers und seiner Frau Helene Beltracchi. Sie kamen dafür hinter Gitter. Das war vor dreizehn Jahren.


Nun, wen oder was genau hat der in mehreren Dokufilmen* porträtierte deutsche Kunstfälscher Beltracchi, gefälscht? Wie hat er es angestellt, und wofür genau sind er und seine Frau Helene Beltracchi verurteilt worden? Die ganze hochinteressante Geschichte kann man genüsslich nachlesen in der 600 Seiten dicken Autobiografie, die das Paar gemeinsam geschrieben hat, nachdem es ihre Haftstrafe verbüsst hatte. Jetzt konnte man ja alles offenlegen, das Versteckspiel war zu Ende gespielt. Ihre 2014 veröffentlichte Lebensgeschichte trägt den Titel ‚Selbstporträt‘. Beide Autoren sind begnadete Erzähler und gehen mit Worten so virtuos um wie der Maestro Wolfgang Beltracchi mit dem Pinsel, wenn er ein Bild von sich selber malt.


Sohn eines Restaurators und Kirchenmalers

Wolfgang Fischer, wie sein ziviler Name lautet, erzählt im Buch Selbstporträt seine Lebensgeschichte bis zum Zeitpunkt der Entlarvung im Jahr 2010. Er wurde als jüngster Sohn des Kirchenmalers und Restaurators Wilhelm Fischer 1951 in Höxter, Westfalen geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Altenbergen, einem kleinen Dorf am Rande des Teutoburger Waldes. Später zog die Familie nach Geilenkirchen, das Heimatdorf seiner Mutter, wo er in den Nachkriegsjahren seine Jugend verbrachte, geprägt von Armut und Aufbruch und vom Schweigen der traumatisierten Eltern. Dass er eine künstlerische Begabung hatte, erfuhr der Junge, der den schweigsamen Vater oft bei seiner Arbeit in den Kirchen begleitete, eher per Zufall. Alle seine älteren Geschwister waren, jeder auf seine Art, künstlerisch tätig, ob als Hobby oder beruflich, und als sein Bruder einmal ein selbst gemaltes Portrait auf den Küchentisch legte, soll der wortkarge Vater nach einem Blick darauf als einziges den lakonischen Satz gesagt haben: „Ach, lass das doch besser den Wolfgang machen.“


Handwerkliches Können und Begabung vereint

Wolfgang hatte das Handwerk des Zeichnens, Malens und Restaurierens von seinem Vater von der Pike auf gelernt, da er ihn häufig auf seine Arbeit begleitete und aufwendige Vorarbeiten wie Reinigen, Grundieren, Vergolden etc. für ihn erledigen musste. Als etwa 12-Jähriger begann er an den langen Winterabenden regelmässig zu zeichnen. Die heimische Welt wurde ihm aber zunehmend zu eng, und er wollte weg. So schlich er sich in den Sommerferien aus dem Haus und reiste ab Richtung Süden, wo er Picassos Geburtsort besuchen wollte. Er packte auch ein Sortiment Strassenfarben mit ins Gepäck in der Absicht, sich unterwegs mit Strassenmalereien seinen Unterhalt zu verdienen. Diesen ersten Sommer in Freiheit genoss er in vollen Zügen, und als er im Spätsommer wieder nach Hause kam, hatte die Schule längst wieder begonnen. Es ging auch nicht lange, da wurde der Jüngling wegen Verbreitung von pornografischen Zeichnungen von der Schule gewiesen. Aus war der Traum seiner Mutter, einer Lehrerin, dass ihr Sohn Wolfgang einen akademischen Beruf ergreifen würde, und er bewarb sich nun an zwei Kunstschulen, obwohl er mit 17 Jahren noch zu jung für eine Aufnahme war. Seine präsentierten Arbeiten waren aber so gut, dass er trotzdem mit einem Praktikum in der Grafikklasse anfangen konnte. Was die Malerei betraf, so konnten die Dozenten ihm ohnehin nicht mehr viel beibringen, und immer öfter ging Fischer anderen Tätigkeiten nach, um sich ein Taschengeld zu verdienen.


Kunst für viel Geld

Fischers belgischer Schwager, der als Kunsthändler tätig war, nahm den begabten Wolfgang mit auf Kunstmärkte, um antike Bilder aufzustöbern, die er von Fischer restaurieren liess, um sie mit Gewinn wieder zu verkaufen. Bald begann Fischer, die Bilder nicht nur zu restaurieren, sondern sie mit Leben aufzuhübschen, das im Original nicht vorhanden war, weil sie damit einen höheren Preis erzielen konnten. So malte er zum Beispiel - in Erinnerung an seinen ersten Kunstmuseumsbesuch als 10-Jähriger in Holland - in einer schlichten Winterlandschaft Schlittschuhläufer aufs Eis, sodass das Bild in die besser bezahlte Kategorie der ‚belebten Szene‘ aufstieg. Bald wurde es Wolfgang zur Gewohnheit, auf den Bildern, die er mit seinem Schwager auf den Flohmärkten fand, zuhause im Atelier zu ergänzen, was den Sammlern gefiel. Da es sich nicht immer um hochwertige Kunst handelte und die Bilder oft nicht signiert waren, wurden sie nur einer oberflächlichen Echtheitsüberprüfung unterzogen, die sie spielend bestanden.


Allmählich getraute sich Fischer an Bilder der Moderne heran. Er studierte Fachliteratur und Werkverzeichnisse über und von Malern, die ihn interessierten, und baute sich so ein immenses Fachwissen auf. Es schien dann kein grosser Schritt mehr zu sein vom Restaurieren und Ergänzen zum vollständigen Malen eines neuen Bildes und es als das Werk des Künstlers seiner Wahl auszugeben. Waren es anfangs Landschaftsbilder im Stil von wenig bekannten belgischen Malern des 19. Jahrhunderts gewesen, so malte Fischer nun neue Bilder ganz in der Handschrift des Malers, in deren Leben und Epoche er sich vertieft hatte. Sein Schwager besorgte den Verkauf, und Fischers Identität als Künstler, der vorgab ein anderer zu sein, blieb gänzlich unerkannt. Das Geschäftsmodell Beltracchi war geboren.


Erfolg im Geschäft, Glück in der Liebe

Beltracchi hiess aber immer noch Fischer. Sein Künstlername ist der Name seiner Frau, die er erst kennen lernen sollte. Fischer war inzwischen mit dem Geld, das er als unersetzlicher Partner seines Schwagers verdiente, längst nach Südfrankreich und Marokko verreist, um etwas von der Welt zu sehen. Sein Schwager versorgte ihn währenddessen weiterhin mit Literatur über Kunst. Darunter war ein Handbuch mit dem Titel „Die Rheinischen Expressionisten“, das den Grundstein legte für Fischers wachsendes Interesse für die Zeitepoche dieser Künstler. Er begann zu experimentieren und malte seine ersten Bilder von Campendonk, Ernst, Macke, Mense, Nauen und Seehaus, die er seinem damaligen Geschäftspartner in Berlin schickte, der sie verkaufte. Gleichzeit genoss Fischer sein abenteuerliches Leben als rastlos Herumziehender und sog die Eindrücke der besuchten Länder begierig auf.


Weil er inzwischen Vater eines Sohnes geworden war, begann Fischer seinen Lebensradius einzuschränken und sich einen Ort einzurichten, wo er leben und arbeiten konnte. So kaufte er im Niederrheinischen Süchteln einen heruntergekommenen Hof und begann ihn für seine Zwecke umzubauen. Als er in einem der umgebauten Häuser ein Filmseminar organisierte, passierte es. Da war eine engelsgleiche Teilnehmerin mit langen blonden Haaren dabei, die ihm bereits im Filmstudio in der Stadt aufgefallen war, wo er angeblich intuitiv sofort wusste, dass er sie heiraten würde. Der erste Eindruck war nicht einseitig, und die Dame hatte ihrerseits den Ort des Seminars ausfindig gemacht und sich als Teilnehmerin eingeschrieben. Seither sind Helene und Wolfgang Beltracchi ein Paar. Helene wurde zu Wolfgangs Komplizin, die die vorherigen Geschäftspartner ersetzte. Ab jetzt war sie es, die Wolfgangs Bilder Experten präsentierte und sich von ihnen Echtheitszertifikate ausstellen liess. Mit diesem Gutachten erst waren die Bilder ihren hohen Preis wert und wurden über Galeristen in den Kunstmarkt eingeschleust, wo sie oft durch Auktionen bekannt gemacht und an Sammler und Museen weiterverkauft wurden.


Mit dem Gewinn der Bilder liess sich gut leben, und bald zogen die beiden aus Deutschland weg nach Südfrankreich, wo sie sich ein kleines Paradies gestalteten. Zum Sohn Manuel kam die kleine Tochter Franziska dazu, und die Familie lebte viele Jahre ein privilegiertes, selbstbestimmtes Leben, in dem der Vater nur arbeitete, das heisst ein Bild malte, wenn er wieder Geld benötigte. Die Bilder erzielten immer höhere Preise, der Kunstmarkt brummte. Während all dieser Jahre blieb Beltracchi in den Augen der Galeristen ein Kunstsammler, der Bilder aus eigener Sammlung verkaufte. Sein Geschäftsgeheimnis war einerseits seine echte Meisterschaft im Malen von Bildern gefragter Maler in deren unverkennbaren Handschrift, was er selbstverständlich gut tarnte. Andererseits war das Paar erfindungsreiche Meister darin, Geschichten für die Herkunft der Bilder zu erfinden und diese mit Belegen wie gefälschten alten Fotos, kopierten Aufklebern von Galeristen, Grusskarten in originaler Handschrift des Senders etc. zu bezeugen, was half, die Experten des Kunstmarktes von der Echtheit des Bildes zu überzeugen.


Festnahme, Haftstrafe und das Leben danach

Ein winziger Fehler liess die beiden auffliegen. Beltracchi hatte für ein Bild eine Farbmischung mit einem geringen Anteil von weisser Farbe verwendete, die es zu der Zeit, in der das Bild angeblich gemalt worden sein soll, noch nicht gab. Ein wissenschaftliches Labor brachte es an den Tag und die Beltracchis ins Gefängnis.


Waren sie nun gemeine Betrüger, denen das Handwerk endlich gelegt worden ist, oder haben sie die Rolle der Hofnarren im Getriebe des Kunstmarktes meisterlich gespielt und etwas in Bewegung gebracht?


Als Laie masse ich mir natürlich kein Urteil zu. Ich berichte über die Beltracchis, weil ich Biografien aufstöbere, die ich lesenswert finde. Und die Autobiografie mit dem Titel Selbstporträt der beiden Beltracchis ist ohne Zweifel eine. Jede Seite dieser Autobiografie bot mir nichts als beste Unterhaltung und Stoff zu Nachdenken. Ich gebe zwar gerne zu, dass ich mich mit dem Ehepaar Beltracchi freue über Ihren gelungenen Narrenstreich, nämlich die Entlarvung einer Szene, die dem durchschnittlichen Lohnempfänger ohnehin nur suspekt vorkommen kann. Ausserdem haben die Beltracchis mit dem freimütigen Erzählen ihrer Geschichte in ihrer 600-seitigen Autobiografie Selbstporträt dem interessierten Laien einen Blick hinter die Kulissen des Kunstmarktes ermöglicht, der zwar seit eh eine Spielwiese der Superreichen war, der aber in absurde Dimensionen vorgestossen ist.


Und wie geht es den Betroffenen selbst nach ihrer Entlarvung?

Nun, anstatt als geschnappte Betrüger ein tristes Dasein mit gebrochenen Flügeln zu fristen und sich Asche aufs Haupt zu streuen, erfreuen sich Helene und Wolfgang Beltracchi des erst durch den Prozess gewonnenen öffentlichen Interesses, das nicht nur ihr gesetzeswidriges Tun bekannt machte, sondern auch den Meister seines Faches ins richtige Licht rückte. In seiner Heimat Deutschland ist Beltracchi zwar seither Persona non grata, aber in anderen Ländern lassen sich vermögende prominente Persönlichkeiten gerne von Meister Beltracchi in dieser oder jener 'Handschrift' eines anderen Künstlers porträtieren.


Das Paar hat nach Verbüssung ihrer Strafe Deutschland verlassen und lebt ­heute in Meggen am Vierwaldstättersee in der Schweiz. Für Wolfgang Beltracchi besteht keine Notwendigkeit mehr, seine Bilder mit fremdem Namen zu signieren, denn die Beltracchi-Gemälde erzielen heute auch mit seinem eigenen Namen signiert einen Erlös, von dem sich gut leben lässt.


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* Film-Dokus über Wolfgang und Helene Beltracchi:

2014, Beltracchi - Die Kunst der Fälschung, ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm


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