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DIE ROTEN SKISTÖCKE

'Die roten Skistöcke' ist eine Leseprobe aus meinem Lebensbericht 'Guggerchlee & Habermarch', den ich im Jahr 2017 mit Hilfe der Biografie-Werkstatt St. Gallen zu Papier gebracht habe.

Ich, die Kleine, teste gerade die Skis meiner grossen Schwester

Die Winter damals (in den 1950er-Jahren) waren sehr lang und hart und unsere Schlafkammern eisig kalt. Trotz Vorfenstern waren die Fenster dick mit Eisblumen beschlagen. Wir legten darum immer unsere ‚Chriesimannen’, das waren Stoffsäcklein, die wir mit Kirschensteinen füllten, auf den Kachelofen und nahmen sie dann mit ins Bett. Das war herrlich warm!

Oft fiel an strengen Wintern sehr viel Schnee. Ohne Ski ging da gar nichts. Es konnte vorkommen, dass über Nacht so viel Schnee gefallen war, dass wir die Türe nach draussen nicht öffnen konnten. Da kletterten halt auf den Stubentisch, zogen unsere Skier an und krochen durchs Stubenfenster in die Dunkelheit hinaus. Zuerst ging’s den Berg hoch, dann über verschneite Wiesen bis zur Strasse, die ebenfalls zugeschneit war, dann fuhren wir durch den Wald und wieder über verschneite Hänge hinunter ins Tal. Die Strassen wurden damals noch nicht gepflügt. Es ist eigentlich ein Wunder, dass uns dabei nie etwas passiert ist.

Ich fuhr als Jüngste immer zuhinterst, da ich öfter als meine Schwestern stürzte, und sie nicht in mich hineinfahren wollten. Mit der Zeit hatten wir eine tiefe Spur gelegt, und es ging flott den Berg hinunter. Wenn es lange kalt war und nicht mehr schneite, gingen wir mit den Skis bis zur Strasse und zogen den Schlitten hinterher. Dann stellten wir die Ski hinter die Tannen und sausten mit dem Schlitten über den gefrorenen Schnee die Hänge hinunter. War das ein Spass! Wir flogen nur so dahin. Doch nach der Schule hiess es dann, den Schlitten wieder bergauf zu ziehen. Das war dann wesentlich strenger.

Waren wir mit den Skiern unterwegs, so packten wir jeweils die Felle in den Tornister, die wir uns später für den Aufstieg unter die Skier schnallten. Oft hatten wir auch noch einen Rucksack über dem Tornister zu schultern, in dem wir Lebensmittel nach Hause trugen, die wir im kleinen Laden neben dem Schulhaus eingekauft hatten.

Meine geliebte grosse Schwester Margrit schenkte mir, als ich in der zweiten Klasse war, zu Weihnachten knallrote neue Skistöcke. Sie waren wunderschön! Ich war soo stolz und glücklich. Als dann der Schnee wieder gefror und wir für den Schulweg den Schlitten benutzen wollten, versteckte ich wie üblich Ski und Stöcke hinter denTannen. Da ich am Nachmittag Handarbeit hatte, ging ich über Mittag nicht nach Hause. Wir bekamen jeweils in der Kochschule einen Teller Suppe. Als ich dann um fünf Uhr nachmittags durch den tiefen Schnee heimwärts stapfte - es war schon dunkel und ich hatte Herzklopfen durch den Wald - so war ich froh, endlich bei den Tannen angekommen zu sein. Ich nahm den Schlitten, um ihn hinter die Tannen zu stellen für den nächsten Morgen und wollte meine Skis anschnallen für den Rest des Wegs. Die standen auch da, wo ich sie am Morgen hingestellt hatte. Aber wo waren meine schönen roten Stöcke?

Wo waren meine schönen roten Skistöcke?

Ich suchte alles ab, so gut es halt ging im Dunkeln, und war überzeugt, die roten Stöcke müssten doch zu sehen sein im Schnee. Nach langem Suchen ging ich zur Strasse vor und sah, dass ein kleines Stück des Strassengrabens anders aussah als der Rest, er war da höher und festgestampft. Da fing ich an zu graben und tatsächlich, da waren meine Stöcke! Nun konnte ich endlich über Feld und Tobel auf den Skiern nach Hause laufen.

Das erste, was ich dann dort zu hören bekam, war die Frage, wo ich mich so lange rumgetrieben hätte. Ob ich denn nicht wisse, wie spät es sei? Mir liefen die Tränen herunter, doch niemand erbarmte sich. Vater sagte, ich solle mich ausziehen und ins Bett gehen. Ich war völlig durchfroren und hungrig. Und in der Schlafkammer war es eiskalt, die Scheiben dick mit Eisblumen überzogen. Ich nahm meinen ‚Chriesimann’- der war wenigstens vom Ofen vorgewärmt - und ging ohne Essen ins Bett. Später kam aber meine Mutter und brachte mir warme Milch mit Brot. Das war lieb!

Am nächsten Tag haben dann meine zwei Schulkollegen zugegeben, dass sie es gewesen waren, die meine Stöcke versteckt hatten. Sie waren neidisch.

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