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IST DAS SCHREIBEN AUTO-BIOGRAFISCHER TEXTE THERAPIE?


Die Frage, ob das Schreiben autobiografischer Texte Therapie sei oder nicht, ist absolut berechtigt. Denn was genau therapeutische Wirkung hat, ist sehr individuell und hängt von vielen Faktoren ab. Da es Maltherapie gibt, Musiktherapie, Kunsttherapie, Poesietherapie, Tanztherapie etc., ist es alles andere als abwegig, anzunehmen, dass auch das autobiografische Schreiben Therapie sein könnte. Wie kann das bestätigt werden, dass das Aufschreiben von mehr oder weniger lange zurück liegenden persönlichen Erlebnissen Therapie ist ? Und was heisst denn Therapie genau?

Ich möchte auf der Suche nach einer differenzierten Antwort ein wenig ausholen und meinen persönlichen Erfahrungen nachspüren, inwiefern Schreiben meines Erachtens als Therapie gelten kann. Wenn ich ein Problem habe, einen seelischen Schmerz oder unter Symptomen körperlicher oder psychischer Art leide, dann suche ich einen Arzt oder Therapeuten auf mit dem Wunsch nach Heilung. Insofern ist das Schreiben meiner persönlichen Lebensgeschichte nicht a priori in meinem Fokus. Eine Therapie, die sich als solche bezeichnet, hat aber a priori Heilung und heil werden zum Ziel.

Das Schreiben seiner Lebensgeschichte ist für viele Menschen oft dann auf ihrem Radar, wenn sie das Bedürfnis haben, Rückschau zu halten, wenn sie ihren Enkeln ihre Geschichte erzählen möchten, oder weil sie Aussergewöhnliches erlebt haben, das eine grössere Leserschaft interessieren könnte, da es vielleicht auch eine Zeitzeugenschaft mit beinhaltet etc. Es gibt tausend Gründe, warum jemand seine Lebensgeschichte oder Teile davon aufschreiben möchte - ich habe sie in einer sehr unvollständigen Liste gesammelt – und das Aufarbeiten von schwierigen, schmerzvollen Erfahrungen ist nur einer davon. Bei der Absicht einer Aufarbeitung von vergangenen Erlebnissen ist es nun aber, wo die therapeutische Wirkung des Schreibens zum Tragen kommt.

Worin besteht sie denn, die therapeutische Wirkung des Schreibens, und wie kommt sie zustande?

Eine therapeutische oder heilsame Wirkung einer Aktivität ergibt sich aus der intensiven inneren und emotionalen Beschäftigung mit einem Gegenstand des persönlichen Erlebens. Beim Schreiben besteht diese intensive Beschäftigung im Suchen nach Worten und Formulierungen beim Erzählen. Um das, was man erzählen möchte, genau auf den Punkt zu bringen, muss man noch einmal ganz nah ran gehen an das erinnerte Geschehen. Nah ran gehen meint, seine Sinne wieder öffnen für das, was damals war, hinsehen, hinhorchen, hinriechen und –spüren, um es genau erzählen zu können. Das Aufschreiben mit der Hand bedeutet auch, dass man die Zeit verlangsamt und dehnt, und dass so Raum entsteht, der vielleicht im Moment des Geschehens nicht vorhanden war. Dadurch öffnet sich die Möglichkeit, mehr zu sehen als damals, Faktoren zu erkennen, die einem damals entgangen sind und zu erkennen, dass man das Ereignis als Ganzes heute anders bewertet, weil man nicht mehr der gleiche Mensch ist, der man damals war, und sich weiter entwickelt hat. Darin kann eine sehr heilsame Wirkung liegen. Es können sich Spannungen auflösen - und damit Symptome – es kann sich ein Schmerz auflösen, es kann sich Friede einstellen, wo vorher Groll vorherrschte.

Vervielfacht sich eine solche Erfahrung beim schriftlichen Erzählen einer ganzen Lebensphase oder der wesentlichen Ereignisse seines gesamten Lebenslaufes, so kann aus meiner eigenen Erfahrung daraus eine heilsame Distanz zum eigenen Schicksal entstehen, das man so besser akzeptieren und verkraften kann. Als eigenständige Therapie würde ich das biografische Schreiben trotz all dem nicht bezeichnen. Ich würde es eher als eine wirkungsvolle Begleitung einer jeden anderen Therapie bezeichnen, wenn die Voraussetzung gegeben ist, dass jemand den schriftlichen Ausdruck für sich persönlich als taugliches Mittel der Kommunikation entdeckt hat. Menschen, auf die das zutrifft, sagen mir zum Beispiel, dass sie, wenn sie mehr Zeit haben, einfach eher die richtigen Worte finden, die ihnen in der Hitze einer Situation oft fehlen, oder weil ihnen die anwesenden Personen nicht richtig zuhören. Sie machen auch die Erfahrung, dass sie sich im Gespräch nicht so gut durchsetzen können mit ihrem Standpunkt, wie wenn sie es aufschreiben, oder dass sie erst im Nachhinein beim Schreiben Klarheit finden über die Bedeutung einer Situation.

Sind die Angebote der Biografie-Werkstatt St. Gallen therapeutische Angebote?

Inwiefern nun die Angebote der Biografie-Werkstatt St. Gallen therapeutische Angebote sind oder nicht, möchte ich folgendermassen beantworten. Wenn jemand mit einem drängenden Problem an mich gelangt, so schlage ich der betreffenden Person zuerst ein Coaching vor, das sich im direkten Austausch zwischen mir und ihr abspielt, denn ein wesentlicher Faktor eines jeden Heilungsgeschehens ist die Beziehung zum anderen. Erst wenn der akute Schmerz entschärft ist, würde ich der Hilfe suchenden Person zusätzlich oder anstelle des Coachings das Schreiben ans Herz legen.

Das regelmässige Schreiben in der Abendwerkstatt und die 3-tägigen Workshops der Biografie-Werkstatt St. Gallen haben keinen therapeutischen Anspruch. Das heisst aber nicht, dass sich nicht immer wieder überraschende heilsame Einsichten ergeben, wo man das nicht erwartet hat. :-)

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