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"AUFSCHREIBEN TUT GUT" - DIE JOURNALISTIN KLARA OBERMÜLLER IN IHREM LEBENSRÜCKBLICK


Klara Obermüller

"Mein erstes eigenes Buch, Weihnachten 1948" steht als Legende unter diesem Foto von Klara Fuhrimann, wie die Autorin Klara Obermüller als Mädchen hiess.

Das Bild ist eines von zwölf, die je vor den ebenfalls zwölf Kapiteln ihres Lebensrückblicks stehen. Damit stand die Struktur ihrer Spurensuche fest. Sie ist keine Biografie geworden, sondern ein schmales Bändchen mit "zwölf Miniaturen, die man mit dem Kopf und mit dem Herzen liest" - wie es im Klappentext zu lesen ist.

Die Journalistin und mehrfache Buch-Autorin hält Rückschau über nahezu acht Jahrzehnte ihres Lebens. Sie greift Erinnerungen auf, die von den Fotos ausgelöst wurden, schildert die Beziehungen zu den abgelichteten Personen, erzählt von den damaligen Gegebenheiten ihres Lebens und geht Zusammenhängen und Beweggründen nach, warum etwas so gekommen ist und nicht anders.

Klara Obermüller beginnt ihre Spurensuche mit einem Bild ihrer Eltern, das aus dem Jahre 1923 datiert und die beiden beim Schach spielen zeigt. Die Erzählerin lässt ihren Gedanken über die Situation ihren Lauf und mutmasst über den Kontext. Dann erzählt sie, was sie weiss über den Beginn der jungen Familie. Erst zehn Jahre nach ihrer Heirat wurden Arnold und Gertrud Fuhrimann zu Klärlis Eltern, als diese auf Rat ihres Arztes sich in einem St. Galler Kinderheim ein Kind zur Adoption aussuchten. Klärli war dort von ihrer leiblichen Mutter in Obhut gegeben worden, da sie psychisch krank war und nicht in der Lage, ohne Partner das Kind zu ernähren. Den Namen ihres Vaters erfuhr Klara erst als Erwachsene aus den Dokumenten im Schreibtisch ihres Adoptivvaters.

Verständlich ist aus dieser Gegebenheit die Dankbarkeit der Tochter, die durch die Adoption die Chance bekam, zu der Person zu werden, die sie geworden ist, und deren Werdegang von Station zu Station sie nun schildert. Studium der deutschen und französischen Literatur in Zürich, Hamburg und Paris, Heirat mit Peter Obermüller, die bald schon mit einer Trennung endet, Volontariat bei der Kulturzeitschrift 'DU', Stelle bei der NZZ und dann der Mann, der "Wie ein Naturereignis über ihre wohl geordnete Welt hereinbrach", wie sie es in ihrem Buch formuliert: Walter Matthias Diggelmann. Er ist ein linker Rebell und für Klara Obermüller eine verwandte Seele. Mit ihm bereist sie die DDR und verschreibt sich vorübergehend dem Marxismus. Sie schreibt nun für die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' und wirkt bald im Literarischen Quartett des berühmten Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki mit.

Als sie Jahre später den Job der Chefredaktorin des St. Galler Tagblattes nicht erhält, ist ihr der Weg offen für ein Engagement beim damaligen Schweizer Fernsehen DRS in der Redaktion der Sternstunde Philosophie. Das war Neuland für Klara Obermüller und ein bereicherndes Abenteuer. Und es war nicht nur die intensive Beschäftigung mit philosophischen Fragen, dass sie immer wieder sich selber die Frage stellte, wer sie eigentlich sei. Da ihr als Adoptivkind die familiären Wurzeln fehlten, war ihre Suche nach Identität eine der Spuren, die Obermüller in ihrem Buch verfolgte.

Den Prozess des Erinnerns und Aufschreibens habe sie als geistiges Abenteuer erlebt und sei faszinierend gewesen, entnehme ich dem Buch. Im Laufe des Eintauchens in die eigene Vergangenheit habe sie mehr als einmal festgestellt, dass es nicht einfach eine Rekonstruktion der Ereignisse sei, was sie niederschreibe, sondern, dass es auch darum gehe, zu überprüfen, was denn die Wahrheit dahinter sei. Sie empfand auch Bedauern, dass sie vieles nicht mehr korrigieren könne und dass sie verstorbenen Menschen nicht mehr direkt sagen könne, was ihr wichtig gewesen wäre, ihnen zu sagen. Aber die Möglichkeit, solche Dinge wenigstens noch aufzuschreiben, tue einfach gut.


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